Der Vorsprung der männlichen Künstler am Auktionsmarkt scheint für Frauen uneinholbar. Nur 2 % des Umsatzes wurden im Durchschnitt in den letzten zehn Jahren durch Kunst von Frauen erwirtschaftet. Der Rest entfiel auf Arbeiten von Männern. So erzielte nur ein einziges Werk von Pablo Picasso mit 4,8 Milliarden Dollar auf einer Kunstmarkt-Plattform − mehr als die Werke von 6000 Frauen zusammen. Das ist das Ergebnis einer Studie von Artnet und der Plattform „In Other Words“.
Dagegen empfiehlt der Berliner Galerist Johann König weibliche Künstlerinnen als die Kunstmarkt-Stars von morgen: „Wer Geld mit Kunst machen will, muss Werke von Frauen kaufen“ sagt er im Spiegel-Interview. Dabei beziehe er sich auf den Kunstkompass und eine weitere Studie von Artnet nach der viele Künstlerinnen „notorisch unterbewertet“ seien. Das werde sich in den nächsten Jahren ändern, ist der Berliner Galerist überzeugt.
Dafür spricht eigentlich nichts: Der Kunstbetrieb ist seit den Anfängen männlich dominiert und fördert durch seine Strukturen männliche Künstler. Weibliche Künstlerinnen, die den emanzipatorischen Aufbruch gewagt haben, wurden vielfach aus der Kunstgeschichte getilgt und erscheinen so gar nicht erst am Markt. Das zeigt das Beispiel von Mariette Lydis, Stefanie Kiesler und Helene von Taussig (Abb. 2). Nie gehört? Alle waren bedeutende Malerinnnen und Bildhauerinnnen, die die Wiener Moderne des frühen 20. Jahrhunderts entscheidend geprägt haben. Der Anteil der Frauen an den Ausstellungen der Sezession betrug ein Drittel. Eine Quote von der wir heute weit entfernt sind. Trotzdem kennt diese Künstlerinnen heute kaum Jemand.
Auch die Frauenbewegung in den siebziger Jahren konnte an dieser Situation kaum etwas ändern. Weibliche Künstler werden weit seltener wahrgenommen und ausgestellt als männliche. „Do women have to be naked to get into the Met. Museum“ (Abb. 3) fragten ironisch die feministischen Guerilla Girls auf einem Plakat im Jahr 1989. Damit prangerten sie die Geschlechterverhältnisse in der modernen Kunst und der Ausstellungspraxis an: Nur 5 % der im Metropoliten Museum in New York ausgestellten Künstler sind weiblich, aber dafür sind 85 % der nackten Figuren auf Bildern weiblich.
Die geringe Wahrnehmung von Frauen als Urheberinnen von Kunst schien bis vor Kurzem zementiert. 2018 stellten nach wie vor deutlich mehr männliche Künstler aus. Die Zahl ihrer Einzelausstellungen war insgesamt 22 % höher als die von Künstlerinnen. Beim Berliner Gallery Weekend wurden im selben Jahr 40 % mehr männliche Künstler gezeigt. Und das, obwohl es heute mindestens so viele Künstlerinnen wie Künstler gibt. Woran liegt das?
Durch die vermehrte Präsentation von Männern in Kunstgalerien werden die geschlechtsspezifischen Unterschiede im Einkommen und Auktionsumsatz angetrieben. Das zeigt das Kunstkompass-Ranking der Zeitschrift Capital, das jährlich im Herbst die aktuell wichtigsten Künstler auslobt. Gemessen wird dies an ihrem Echo in der Fachwelt. Dazu zählt die Anzahl der Einzelausstellungen in einem internationalen Museen, die Teilnahme an einer der 100 bedeutenden Gruppenausstellungen wie etwa der Documenta in Kassel, Rezensionen in renommierten Kunstmagazinen, Ankäufe durch namhafte Museen, die Verleihung bedeutender Auszeichnungen und bei Skulpturen die Aufstellungen im Außenraum. Verkaufspreise spielen inzwischen keine Rolle mehr, da sie der Spekulationen unterliegen können und daher stark schwanken.
Doch nun gibt es erstmals Anzeichen für eine Veränderung. Bedeutende Museen wie das MoMa oder das Whitney Museum in New York bemühen sich um ein größeres Gleichgewicht zwischen männlichen und weiblichen Künstlern. Wichtige kulturelle Preise wie der Praemium Imperiale, also der Nobelpreis der Kunst (Kategorien unter anderem: Malerei, Skulptur) wird seit dem Jahr 2016 immer auch an eine Frau verliehen. Das zeigt nun Wirkung. Die ersten Frauen rücken in das obere Segment des Marktes vor, das zuvor von männlichen Kollegen dominiert wurde. Seit November 2019 belegen Rosemarie Trockel und Cindy Sherman Platz vier und fünf der Top-100-Gegenwartskünstler nach Gerhard Richter, Bruce Naumann und Georg Baselitz.
In der Liste der stärksten Aufsteiger rückt die Künstlerin Hito Steyerl, die auch an der Berliner Universität der Künste als Professorin für Medienkunst tätig ist, auf den zweiten Platz. Die jüngste Aufsteigerin ist Njideka Akunyili Crosby (Abb. 4). Ihr Marktwert ist inzwischen ähnlich hoch wie der vergleichbarer männlichen Kollegen. Der Kunstmarkt beginnt unterbewertete weibliche Künstler neu zu entdecken. Beispiele sind nicht nur Cindy Sherman und Rosemarie Trockel, sondern auch Cecily Brown, Marlene Dumas, Christine Ay Toe und Juli Mehret.
Zwar haben männliche Künstler einen jahrzehntelangen Vorsprung, der nicht so leicht aufzuholen ist. Doch der Prozess hat begonnen. Frauen werden häufiger ausgestellt und bei der Verleihung von Auszeichnungen stärker berücksichtigt, ohne dass dabei ihr Geschlecht explizit betont wird. Weitere Förderung ist trotzdem notwendig, denn Frauen verfügen oft nicht über einen Netz von Geschlechtsgenossinnen, die bereits gut im System integriert sind. Zudem stehen sie sich häufig selbst Weg. Zu oft treten Sie freiwillig zurück, aus Furcht sich in den Vordergrund zu drängen. Dabei wäre genau das notwendig, um in diesem schwierigen Business gesehen zu werden. Doch nun ist Bewegung in die Szene gekommen: Junge Künstlerinnen machen sich sichtbar. Selbstbewusst vertreten sie ihre Arbeit, statt darauf zu warten, dass Jemand sie entdeckt. Unter Nachwuchskünstlern beträgt ihr Anteil schon 48 % und es gibt keine Anzeichen, dass dieser Trend aufzuhalten ist.
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Sie wollen mehr wissen? Dann lesen Sie meinen Artikel über die 7 Gründe, warum Menschen Kunst kaufen.
Quellen:
Bloch, Werner, die verdrängte weibliche Avantgarde. Nur als Musen ins Museum, in: deutschlandfunkkultur.de (05/2019), www.deutschlandfunkkultur.de/die-verdraengte-weibliche-avantgarde-nur-als-musen-ins.976.de.html?dram:article_id=450019 (18.06.2020).
Buhr, Elke, Auktionsmarkt. 98 % männlich, in: monopol-magazin.de (9/2019), https://www.monopol-magazin.de/98-prozent-maennlichhttps://www.monopol-magazin.de/98-prozent-maennlich (16.06.2020).
König, Johann im Gespräch mit Valentina von Klencke, in: spiegel.de (10/2019), https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/kunst-galerist-johann-koenig-und-auktionator-robert-ketterer-erklaeren-den-markt-a-1291489.html (16.06.2020).
Mania, Astrid, Internationaler Kunstmarkt. Weniger Umsatz, mehr Frauen, in: sueddeutsche.de (03/2020), https://www.sueddeutsche.de/kultur/internationaler-kunstmarkt-weniger-umsatz-mehr-frauen-1.4832613 (16.06.2020).
Meyer, Philipp, Kunst kommt von können – können Frauen anders?, in: nzz.ch (11/2019), https://www.nzz.ch/feuilleton/ausstellungen-von-kuenstlerinnen-koennen-frauen-anders-nzz-ld.1513117 (16.06.2020).
Rohr-Bongard, Linde, Kunstkompass: Frauen dominieren das Aufsteiger-Ranking, in: capital.de (10/2019), https://www.capital.de/leben/kunstkompass-frauen-dominieren-das-aufsteiger-ranking (16.06.2020).
Steinfeld, Daniela im Gespräch mit Ute Welty, Galeristen über Frauen auf dem Kunstmarkt. Eine Quote würde Künstlerinnen nicht helfen, in: deutschlandfunkkultur.de (11/2018), in: https://www.deutschlandfunkkultur.de/galeristin-ueber-frauen-auf-dem-kunstmarkt-eine-quote.1008.de.html (16.06.2020).
Strohschneider, Tom, Arme Künstler, ärmere Künstlerinnen: Wenn der Gender Show Gap den Gender Pay Gap antreibt, in: oxiblog.de (04/2018), https://oxiblog.de/arme-kuenstler-noch-aermere-kuenstlerinnen-wenn-zum-gender-pay-gap-noch-der-gender-show-gap-dazukommt/ (16.06.2020).
Voss, Julia im Gespräch mit Gaby Wuttke, Frauen in der Kunst, Künstlerinnen sichtbar machen, in: deutschlandfunkkultur.de (03/20), https://www.deutschlandfunkkultur.de/frauen-in-der-kunst-kuenstlerinnen-sichtbar-machen.1013.de.print?dram:article_id=472004 (16.06.2020).
(Autor nicht genannt) In Richtung Gleichberechtigung auf dem Kunstmarkt, in: artprice.com (9/2017), https://de.artprice.com/artprice-reports/der-markt-fur-zeitgenossische-kunst-2017/in-richtung-gleichberechtigung-auf-dem-kunstmarkt (16.06.2020).